L-Lysin im Muskelaufbau
Bei L-Lysin handelt es sich um eine essentielle Aminosäure. Aminosäuren sind biologische Makromoleküle, die im Muskelaufbau eine zentrale Rolle einnehmen: Aus ihnen bestehen die Proteine (Eiweiße), die wiederum die Muskelstruktur bilden und als Enzyme und Hormone auch funktionelle Bedeutung innehaben. Alle Aminosäuren besitzen den selben Grundaufbau: An ein zentrales Kohlenstoffatom binden sich eine Aminogruppe, eine Carboxylgruppe, ein einzelnes Wasserstoffatom und spezifischer Rest, der für die jeweilige Aminosäure charakteristisch ist und ihre biochemischen Eigenschaften bestimmt. Dadurch lassen sich Aminosäuren in Untergruppen einteilen. Lysin gehört zu den basischen Aminosäuren.
Die Biowissenschaften unterscheiden zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Aminosäuren. Essentielle Aminosäuren wie Lysin kann der menschliche Körper nicht selbst synthetisieren, obwohl er zwingend auf sie angewiesen ist. Der Organismus muss Lysin und die sieben anderen essentiellen Aminosäuren deshalb über die Nahrung aufnehmen. Nicht-essentielle Aminosäuren hingegen kann der Körper eigenständig bilden, indem spezialisierte Enzyme die molekularen Bausteine zusammensetzen.
Die essentielle Aminosäure ist in vielen natürlichen Nahrungsmitteln enthalten. Besonders hohe Konzentrationen von Lysin sind in folgenden Produkten zu finden (jeweils pro 100 g):
- Kürbiskerne (2283 mg)
- Hühnerfleisch, Brustfilet (1962 mg)
- Lachs (1879 mg)
- Rindfleisch (1797 mg)
- getrocknete Erbsen (1772 mg)
- Tofu (1000 mg)
- Hühnerei (914 mg)
- Buchweizen (595 mg)
Bedeutung von Lysin für den Muskelaufbau
Muskelfasern bestehen aus Proteinen, von denen sich jedes nicht nur durch eine bestimmte molekulare Zusammensetzung auszeichnet, sondern auch durch seine räumliche Struktur. Als Aminosäure gehört Lysin zu den Bausteinen, aus denen Proteine bestehen. Spezialisierte Enzyme verbinden die einzelnen Aminosäuren zu langen Ketten, den Polypeptiden; dabei ist die Reihenfolge vom genetischen Code vorgegeben. Nach der Synthese der Aminosäurekette katalysieren andere Enzyme schrittweise die räumliche Faltung des Polypeptids. Die dreidimensionale Anordnung der Aminosäuren innerhalb der Kette wirkt sich auf die biochemischen Eigenschaften des Proteins aus. Die Reste der Aminosäuren, die für das jeweilige Biomolekül charakteristisch sind, tragen zur korrekten Anordnung bei.
Aminosäuren sind aus diesem Grund nicht beliebig miteinander austauschbar: Verlangt der genetische Bauplan an einer bestimmten Stelle des Proteins nach Lysin, muss die Aminosäure sofort verfügbar sein. Lücken in der Kette können zur Entstehung unbrauchbarer Proteine führen und infolgedessen funktionelle oder strukturelle Probleme hervorrufen.
Neben seiner Bedeutung als Proteinbaustein beeinflusst Lysin gemeinsam mit Arginin möglicherweise das wachstumsfördernde somatotrophe Hormon, das am Fettabbau beteiligt ist. Eventuell wirkt sich Lysin deshalb günstig auf das Fett-Muskel-Verhältnis aus. Unter Experten gilt diese Wirkung allerdings als umstritten.
Wissenschaftliche Studien zum Zusammenhang von Lysin und Muskelaufbau
Im Tiermodell konnten Morales und Kollegen (2015) nachweisen, dass L-Lysin das Muskelwachstum positiv beeinflusst; umgekehrt führt ein Mangel an der Aminosäure zu schwach ausgeprägten Muskel-Korrelaten. Lysin scheint dabei nicht nur als Baustein für die Muskeln eine Rolle zu spielen, sondern auch den Prozess des Muskelaufbaus zu beeinflussen, indem es die Proteinsynthese fördert.
Eine ältere Studie von 1992 stellte ähnliche Effekte fest. Die Forscher Tesseraud, Larbier, Chagneau und Geraert konnten zeigen, dass eine ausreichende Dosis an Lysin bei Hühnern den Abbau von Muskeln verhindert; in ihrer Studie ergaben sich jedoch keine signifikanten Auswirkungen hinsichtlich zusätzlich entwickelter Muskelmasse. Dafür entdeckten die Wissenschaftler allerdings, dass die Effizienz der Synthese bei guter Lysinversorgung höher war als bei Lysinmangel. Beide Gruppen erhielten die gleiche Gesamtmenge an Protein und unterschieden sich nur in der Zufuhr von Lysin.
10 Jahre später fand ein anderes Team von Wissenschaftlern bei einer Studie mit älteren Männern, dass eine zusätzliche Dosis an Lysin und anderen Aminosäuren keinen signifikanten Unterschied in den Trainingseffekten hervorrief. Dabei ist allerdings unklar, ob die von Tesseraud und Kollegen gemessene Synthese-Effizienz sowie die Veränderungen im Muskelabbau sich auch auf den Menschen übertragen lassen.
Mit einer kleinen Stichprobe von jeweils drei Frauen und Männern wies die Forschergruppe um Tipton 1999 allerdings nach, dass die intravenöse Einnahme von Aminosäuren unmittelbar nach einem Workout den Muskelaufbau beeinflussen kann: Sowohl essentielle Aminosäuren (einschließlich Lysin) als auch Mischungen aus nicht-essentiellen und essentiellen Proteinbausteinen führten zu einer Steigerung der Aminosäurekonzentration im Blut um 150–640 %. Diese Ergebnisse veranschaulichen: Entgegen einer unter Laien weit verbreiteten Meinung stellt die Einnahme von Aminosäuren nach einem Workout keinesfalls eine Verschwendung dar, sondern spiegelt sich in Blutwerten messbar wider. Die Wissenschaftler betonen, dass die orale Einnahme der Aminosäuren zu gleichen Effekten führen kann.
In der Studie machte es keinen Unterschied, ob die Probanden nur essentielle Aminosäuren zu sich nahmen oder sowohl essentielle als auch nicht-essentielle. Möglicherweise sind nicht-essentielle Aminosäuren im Gegensatz zu essentiellen in diesem Zusammenhang von geringerer Bedeutung.
Berechnung des individuellen Tagesbedarfs
Der Lysinbedarf eines Menschen hängt unter anderem von seinem Körpergewicht ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 30–64 mg Lysin pro kg Körpergewicht. Eine Person, die 80 kg wiegt, sollte dementsprechend 2400–5120 mg Lysin zu sich nehmen. Mit zunehmender Muskelmasse steigt das Gesamtgewicht und damit auch die Menge an Lysin, die der Körper benötigt. Eine ausreichende Verfügbarkeit der Aminosäure ist sowohl für die Aufrechterhaltung und Steigerung der Muskelmasse als auch für andere biologische Prozesse unabdinglich. Da der Organismus Lysin nicht selbst synthetisieren kann, sollte die Aufnahme über die Nahrung konstant erfolgen.
Kraftsportler und Bodybuilder sehen sich dabei unter Umständen mit einem Dilemma konfrontiert: Einerseits müssen sie Lysin und andere essentielle Aminosäuren zu sich nehmen, andererseits dürfen sie jedoch nicht mehr Kalorien verzehren als sie verbrauchen. Andernfalls speichert der Körper die überschüssige Energie als Fett, was wiederum die Definition der Muskeln beeinflusst und das Verhältnis von Körperfett und schlanker Masse beeinträchtigt. Nahrungsergänzungsmittel oder Eiweißpulver mit abgestimmtem Aminosäureverhältnis erfahren in diesem Personenkreis deshalb zunehmende Verbreitung.
Indirekte Bedeutung von Lysin und Risiken
Beim Muskelaufbau kommt es nicht nur auf die Verfügbarkeit von Muskel-Bestandteilen an, sondern auch auf den Gesamtzustand des Organismus. Lysin spielt in diesem Zusammenhang für zahlreiche Systeme eine Rolle, die nicht direkt, aber indirekt den Muskelaufbau beeinflussen. Die wichtigsten sind:
- Regulation des Blutzuckers
- Immunsystem
- Kollagen-Synthese
- Vorkommen im Blutplasma
Die Einnahme isolierter Aminosäuren in höheren Konzentrationen kann grundsätzlich mit Risiken verbunden sein. Pharmazeuten kritisieren vor allem die unzureichende Studienlage für spezielle Präparate sowie die wenig erforschten Nebenwirkungen. Da Lysin in der Regel als Nahrungsergänzungsmittel im Handel ist, greifen die strengeren Regelungen für Medikamente hier nicht; dabei kann Lysin durchaus pharmazeutisch relevante Wirkungen hervorrufen. „Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ ist deshalb ein Grundsatz, der auch im Zusammenhang mit Lysin Berücksichtigung finden sollte.
Insbesondere schwangere Frauen sollten vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Lysin und anderen Präparaten ihren Arzt konsultieren.